Von meinem ersten Lebensjahr an bin ich auf beiden Ohren sehr hochgradig schwerhörig. Naja, die tiefen Töne habe ich noch einigermaßen gut gehört. Mit fünf Jahren, vorher hat man meine Schwerhörigkeit nicht erkannt, bekam ich mein erstes Hörgerät. Aber erst nur eins und zwei Otoplastiken, damit ich jeden Tag meine Ohren abwechselnd mit dem einen Hörgerät beschalle. Einen Tag das rechte, am anderen Tag das linke Ohr.
Laut Erzählung meiner Mutter, habe ich das konsequent durchgezogen habe. Sie erzählte mir auch, wie ich das nicht versorgte Ohr trotzdem mittrainiert habe, indem ich mir die Geräusche eine Weile mit dem an dem Tag versorgten Ohr anhörte. Dann hielt ich das nicht versorgte Ohr solange zu der entsprechenden Hörquelle hin, bis ich das Geräusch dann auch gehört habe. Und das eisern!
Irgendwann bekam ich natürlich ein zweites Hörgerät. Beide Hörgeräte waren mein „Ein und Alles“. Ohne die war ich eine halber Mensch.
Da mir das Hören sehr wichtig war, habe ich auf Grund des Trainings und trotz des hohen Hörverlustes mit den Hörgeräten doch relativ gut Sprache verstehen können. Doch ohne das Mundbild ging es nicht. Aber undeutliches Mundbild, Sprechstimme zu leise oder zu laut oder Dialekte erschwerten das Verstehen. Und wenn dann noch Nebengeräusche dabei waren, dann wurde es noch schwieriger.
Das Mundbild absehen ist eine wichtige Hörtaktik, die ich mir als Kleinkind schon angeeignet habe. Wichtig ist dafür, dass die Lichtverhältnisse stimmen, der Gesprächspartner musste so zu mir sprechen, das sein Mundbild weder im Schatten lag, noch geblendet wurde. Wichtig war es auch, dass der Abstand beim Gespräch zwischen meinem Gesprächspartner und mir zueinander nicht so groß ist.
Wenn diese Hörtaktiken eingehalten wurden, dann bin ich gut zurechtgekommen. In Gruppen mit mehr als sechs Personen war eine erhöhte Konzentration erforderlich, was mit der Zeit sehr anstrengend wurde. Um weiter mich an den Gesprächen zu beteiligen, verspannte ich mich immer mehr am Kopf, Hals, Nacken und Schulter. Bloß nicht mehr bewegen und meine Augen fixierten sich noch auf das Mundbild. Mittlerweile habe ich gelernt, seitlich vom Mund des Sprechers abzulesen. Mir war es zu blöd, die Leute immer wieder daran zu erinnern, dass sie mich anschauen sollen.
Theater und Kabarett waren auf Grund der wechselnden Bewegungen des Körpers und somit auch des Gesichtes der Schauspielers auf der Bühne für mich sehr schwierig zu verfolgen.
Im Laufe der Jahre wurden Gespräche im Alltag und Vorträge zu verfolgen mit den Hörgeräten immer anstrengender. Meine Konzentration baute schneller ab und ich war schneller erschöpft bzw. ich schaltete oft ab.
Dies sollte mit einem CI einfacher werden und auch noch viel besser Sprache verstehen, als ich mich in einer Klinik vorgestellt habe. Der Arzt hat mir sogar an meine vorhandenen Audiogramm gezeigt, wie gut ich seiner Meinung nach hören würde. Eine waagerechte Linie bei 20 dB. Glaubt mir, ich habe ihm in Gedanken einen Vogel gezeigt. An seiner Meinung habe ich echt gezweifelt. Es war für mich als Langzeithörgeschädigte unvorstellbar so gut hören zu können. Trotz Zweifel und doch voller Hoffnung habe ich zu einer CI Operation zugestimmt.
Ich wollte mehr und habe ja auch ehrgeizig trainiert, jeden Tag mindestens drei Stunden, meist mehr. Und ich freute mich über jedes „große“ positive Hörerlebnis. Warum nicht die kleinen? Die habe ich ja wegen zu großem Ehrgeiz kaum zu Kenntnis genommen.
Mein erstes großes Hörerlebnis kam und hat mich komplett überwältigt. Es war neun Monate nach meiner Erstanpassung mit meinem ersten CI. Ein Hörmoment, dem ich für mich den Namen gab: „Mein erstes Hörwunder“.
Ich bin mit meiner Familie an Heiligabend am Abend in die Christmette gegangen. Ich hoffte, dass wir vorne noch einen Platz bekommen würden, denn wir waren schon spät dran. Dem war es leider nicht so, wir bekamen nur noch hinten Plätze. „Das wird aber schwierig werden mit Mundabsehen.“, dachte ich mir und war schon angespannt.
Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich das mal erleben durfte. Meine Zweifel über die positive Aussage des Arztes wurden beseitigt.
Es ist möglich mit dem CI viel mehr zu verstehen.
Ich werde dieses Wunder „einfaches entspanntes Hören ohne Gebrauch meines wichtigsten Werkzeug“ immer in meinem Herzen aufbewahren.
Wenn mich heute jemand fragt, welcher Moment mit dem CI für mich der schönste war, dann taucht für mich dieses Hörwunder sofort in meinem Kopf auf. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich dran denke, dass sogar mir die Tränen wieder in die Augen treten.
Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Ich bin dankbar gegenüber all den Wissenschaftlern, die das Cochlea Implantat entwickelt haben, den Ärzten, die die filigranen OPs durchführen und den Technikern, die die Anpassungen mit einer Engelsgeduld durchführen.
Und ich bin dankbar, dass ich es zu meinen Lebzeiten dies noch erleben darf.
In diesem Sinne noch eine besinnliche Weihnachtszeit ohne Hörstress!